Ungehaltene Reden
Liebe VertreterInnen der freien Marktwirtschaft,
Wir verlangen nur, dass Sie sich an Ihre eigenen Prinzipien halten: Wer privat Geschäfte machen will, soll für die Folgen haften und seinen Müll selbst entsorgen. Das gilt für jede Imbissbude. Das sollte auch für jedes AKW gelten. Und wenn dies für einen privaten Unternehmer nicht bezahlbar ist, dann wird es eben nicht gemacht. Sozial heißt dann nicht, liebe soziale MarktwirtschaftlerInnen, dass der Staat, d.h. die SteuerzahlerInnen von heute und die Generationen von morgen, die Kosten dafür übernehmen, weil man ja angeblich unbedingt fortschrittlich erscheinen muss.
Staatliche Gelder haben nicht dem Privatinteresse zu dienen. Was für eine Demokratie dagegen wichtig ist, ist unbegrenzt bezahlbar. Die Menschenrechte werden hier durchgesetzt, koste es, was es wolle. Künftige Generationen werden uns dafür dankbar sein. Meinungsfreiheit wird hier durchgesetzt, koste es, was es wolle. Demokratie ist kein Privatinteresse, sondern das Interesse einer menschenwürdigen Gesellschaft. Und es ist beschämend für eine Gesellschaft, wenn sie Menschenwürde von ihrer Bezahlbarkeit abhängig macht.
Liebe VertreterInnen der Privatwirtschaft,
Was Sie schaffen, soll Ihnen gehören; niemand soll es Ihnen rauben. Sie haben jedoch die Erde nicht geschaffen, nicht Luft, Wasser, Licht und alle Ressourcen der Erde. Sie können diese Dinge der Erde auch nicht rauben, denn sie bleiben auf der Erde. Indem Sie so tun, als ob Sie sie rauben könnten, gefährden Sie Ihre eigene Spezies, nicht die Erde. Wenn Sie Dinge, die Sie geschaffen haben, an Ihre eigene Spezies verkaufen wollen, müssen Sie dafür sorgen, dass ihre Spezies erhalten bleibt mittels öffentlicher Daseinsvorsorge. Öffentliche Daseinsvorsorge dient also nur Ihrem eigenen Interesse und lässt sich nicht privatisieren.
Arbeit als radikale Utopie von SozialistInnen?
Sie
hatten einmal die radikale Verkürzung der Arbeit im Auge, um mehr Muße zu haben
wie andere Tiere auch. Dann erst haben Menschen Zeit, über sich nachzudenken,
sich frei zu entwickeln, sich selbst zu finden. Dann erst werden aus ihnen
selbstbewusste Menschen, die SozialistInnen dringend brauchen, um von der
kapitalistischen Entfremdung loszukommen. Viele, die sich SozialistInnen
nennen, halten sich z.B. nicht mehr für (kapitalistische) Sklaven, sobald sie
ihren Arbeitsplatz verlassen haben. Im Wirklichkeit sind sie geistig in ihrem
Verhalten immer noch versklavt: Fast alle ihre Gedanken drehen sich ums Geld.
Gier charakterisiert ihr wirtschaftliches Verhalten. Ihre Mitmenschen
betrachtens sie als Objekte. Sie wissen nichts von Wirtschaften ohne Geld, von
Kooperationm, von Sättigung. Sie können nicht sagen: "Mir geht's gut ohne
Arbeit." Viele, die sich SozialistInnen nennen, glauben z.B. noch an einen
Gott. Viele, die sich SozialistInnen nennen, leben z.B. nicht aus dem Augenblick
heraus, nicht aus ihren Sinnen. Viele, die sich SozialistInnen nennen, finden
z.B. Spaß an Games, Drogen, Krimis.
Herrschendes
sozialistisches Denken kommt heute aus bürgerlichen Kreisen oder aus auch
äußerlich versklavten Schichten. Verdrängt ist die sozialistische
Vergangenheit, als SozialistInnen sich selbstbewusst genug fühlten, ihr Fesseln
zu sprengen und ein anderes Leben zu führen.
Doch
in der Praxis an der Basis und in vielen "unterentwickelten" Ländern
haben Menschen zu einem menschenwürdigen Leben gefunden. Niemand nennt sie
sozialistisch; doch sie sind es: Sie versorgen sich selbst, sie organisieren
sich selbst, sie leben ohne Tauschverhältnisse, eine Hütte reicht ihnen, sie
entwickeln sich frei, sie sind glücklich. Sie halten die herrschenden
SozialistInnen für arme Verirrte.
Der
Mythos Europäische Union
Von
Medien und Politikern wird gern kolportiert, die Europäische Union sei
entstanden, weil die Europäer nach dem letzten Weltkrieg Kriegen in Europa ein
für allemal ein Ende bereiten wollten. Das sei die Motivation von Konrad
Adenauer und Jean Monnet gewesen. In Wirklichkeit wollten die Alliierten die
Deutschen unter Kontrolle halten, dass sie nie wieder so übermächtig in Europa
würden, vor allem wirtschaftlich nicht übermächtig mit ihren Ressourcen an
Kohle, Eisen und Stahl. Also schmiedete man eine Europäische Gemeinschaft für
Kohle und Stahl, auch Montan-Union genannt, in der die Deutschen nicht mehr
allein über diesen Wirtschaftsbereich entscheiden konnten. Diese
"Zusammenarbeit" wurde im Laufe der Jahre zweckmäßigerweise auf
andere Wirtschafts- und Politikbereiche ausgedehnt. Das hinderte natürlich
niemand, in Sonntagsreden von dem Ideal einer Europäischen Vereinigung zu
reden. So auch Konrad Adenauer nicht, dem jedoch in Wirklichkeit ein Westeuropa
unter dem Schutz der US-Amerikaner wichtiger war als ein vereinigtes Europa.
Auch Helmut Kohl schwärmte in Sonntagsreden von einem vereinigten Europa,
glaubte jedoch selbst nie daran, auch nicht an ein vereinigtes Deutschland. Bis
ein solches Deutschland ihm eines Tages unerwartet in den Schoß fiel. Er konnte
den Gesinnungswandel der sowjetischen Führung zuerst gar nicht glauben.
Eben hatte er Gorbatschow noch als Goebbels beschimpft, schon traf er sich zu
Verhandlungen mit ihm über ein vereinigtes Deutschland, mit ihm und dann auch
mit den anderen Alliierten. Die wollten dem nur zustimmen, wenn die Deutschen
noch stärker kontrolliert, in eine Europäische Union eingebunden und endgültig
auf das ostdeutsche Reich verzichten würden. Das letztere war für Helmut Kohl
schwer zu verkraften, aber nach seiner Devise "Wichtig ist, was unten
rauskommt" war für ihn die Rechnung einfach: Er würde eingehen in die
Geschichte als Schöpfer einer deutschen Einheit und Protagonist einer
Europäischen Union. Das wog schwerer als der Verlust des ostdeutschen
Reichs. So schwang er sich - bar jeder wirtschaftlichen und politischen
Kenntnis, aber mit um so größerem Pathos - zum Schöpfer einer deutschen
Einigung und zum Protagonisten einer Europäischen Union auf. Die deutsche und
europäische Einigung war für ihn kein Problem, blühende Landschaften wollte er
in der DDR schaffen und eine Einheitswährung in der Europäischen Union. Das
erste war den deutschen teuer zu stehen gekommen, dem zweiten fehlte die
Grundlage einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Folglich kam es zum
Zusammenbruch des Sozialstaats in Deutschland und dem Zerfall eines vereinigten
Europas. Eine Politik, die aus Eitelkeit und Selbstüberschätzung Helmut Kohls
rhetorisch auf Einigung programmiert war, bewirkte also genau das Gegenteil.
Nicht
zuletzt auch weil die Opposition in Deutschland nicht müde wurde, Kohls
angebliche Verdienste um Deutschland und Europa zu betonen und weil ein
US-amerikanischer Präsident Helmut Kohl den "größten europäischen Führer
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts" nannte.
Deutschland
wurde von oben her vereinigt; es durfte sich nicht einmal eine Verfassung
geben wie in seinem Grundgesetz vorgeschrieben. Europa wurde von oben her
vereinigt, nicht getragen von den Menschen in Europa. Obwohl dies doch
geopolitisch und historisch so notwendig ist.
Und
auch möglich ist, weil Europa ein klares Profil in der Welt haben könnte: ein
Hort der Freiheit, der Vielfalt, der Toleranz bei gleichzeitiger Soldiarität
der Menschen, nicht der Reichen und der Banken. Europas Geschichte ist
gekennzeichnet von dem Kampf um das Recht, seine eigene Meinung zu sagen.
Vielfältige Lebensarten und Denkweisen auf engem Raum. Ein buntes, friedliches
Europa können wir der Welt bieten. Wenn unsere dilettantischen und arroganten
Führer verzichten, können wir ein stabiles Europa von unten aufbauen.
Unter
der Couch
Seit
Jahrzehnten kämpfen die Herrschenden gegen die zunehmende Armut in dieser
Gesellschaft, gegen die zunehmende Verschmutzung der Umwelt, gegen die
zunehmende Verschuldung des Staats, gegen den zunehmenden Zerfall Europas; aber
es ändert sich nichts. Dank des Einflusses der Lobbyisten und der abnehmenden
Widerstandskraft der Menschen. Wieso letzteres?
Jahrzehntelang
auf Wettbewerb im Kapitalismus getrimmt, haben immer weniger Deutsche Zeit,
sich die Frage zu stellen: Wie will ich leben? Erschöpft fallen die meisten
abends auf die Couch vor dem Fernseher und wollen nur noch auf
"niedere" Instinkte angesprochen werden: Sex (in Spielfilmen) oder Gewalt
(in Boxkämpfen oder Krimis). Immer mehr Menschen werden auf diese
Weise zu Monstern herangezogen, die nur noch reflexartig reagieren. Da helfen
alle idealistischen Sonntagsreden und -predigten nicht. Das Bildungsniveau
sinkt rasant.
Außerdem
haben die meisten Menschen im Kapitalismus die Bodenhaftung verloren. Sie haben
es verlernt, sich im Notfall aus eigener Kraft selbst zu helfen. Fast alles ist
zur Ware geworden, die man sich mit einem Klick ins Haus holen kann: Essen,
Reparaturen, (angebliche) Bildung, Information. Verlernt haben die meisten
Menschen, es bei unbekannten Problemen erst einmal mit Nachdenken, Bordmitteln
und Herumprobieren zu versuchen.
Eine
solche Veränderung der psychischen Struktur einer Nation wiegt auf die Dauer
mehr als leichte parteipolitische Verschiebungen. Sie ist leichter durch die
Presse der Herrschenden zu manipulieren. Wo gibt es heute noch so mächtige
Massenbewegungen wie gegen die Wiederbewaffnung, für die Mitbestimmung, gegen
einen Schnellen Brüter, gegen den NATO-Doppelbeschluss im letzten Jahrtausend?
Wie anders ist die schnelle Begeisterung der Massen für einzelne Personen wie
zu Guttenberg, Wulff und die schnelle Abwendung der Massen von ihnen zu
erklären?
Wohin
führen solche unterschwelligen, nachhaltigen Triebkräfte einer Gesellschaft?
Demokratie
in Deutschland? Ein Witz!
Die schaffen es nicht einmal, die minimalsten Lebensbedingungen für Menschen zu erhalten, z.B. eine gesunde Luft, nächtliche Ruhe. Die schaffen es nicht, Arme, Alte, Kinder, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln.
Und
wo es Gesetze gibt, haben die Behörden wegen der verordneten Sparpolitik nicht
genügend Personal, um die Gesetze umzusetzen und ihre Einhaltung zu überwachen.
Verehrte
Anwesende, wir versuchen hier schon seit zwei Tagen ein Problem zu lösen, ohne
einen Leitfaden unserer Analyse benannt zu haben, der für die meisten hier
gilt: Es gibt keinen Gott. Dieser Mehrheit muss ich nun sagen, dass hinter
ihrer Analyse ein Leitfaden gilt, den die meisten nicht zu benennen wagen: Es
gelten die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Diese Mehrheit wiederum wagt
sich nicht einzugestehen: Wir haben keine Alternative zum Kapitalismus.
Und
jetzt wende ich mich der Minderheit zu: „Die meisten von euch sind sich nicht bewusst, dass ihr eine Alternative zum Kapitalismus habt. Ihr unterscheidet
euch von der Mehrheit nur dadurch, dass euch zusätzlich das Leben Spaß macht,
ihr unbeschwert in den Tag hinein lebt und so faul seid wie alle gesunden
Lebewesen.“ Das Wissen dieser kleinen Minderheit muss ungesagt bleiben, wenn es
nicht falsch werden soll. Aber es manifestiert sich in Taten, die für die
Mehrheit wichtiger sind als Gedanken.